Diesmal widmet sich Thomas Speck in „Der Schalltrichter“ einem Thema, das viele von uns nur zu gut kennen: der Prokrastination. Mit humorvollem Sarkasmus und persönlicher Offenheit beschreibt er die meisterhafte Kunst des Aufschiebens und die kreativen Ausreden, die Prokrastinatoren täglich aufs Neue erfinden.

Prokrastinatoren sind glorreiche Künstler der Aufschieberitis, deren Fähigkeit, jede noch so winzige Aufgabe in eine ferne Zukunft zu verschieben, an die Grenzen des menschlichen Vorstellungsvermögens stoßen. Sie sind die unbesungenen Helden der modernen Arbeitswelt, Meister darin, sich selbst und andere von der immensen Wichtigkeit ihrer Ausreden zu überzeugen.

Diese Episode ist ein wenig persönlicher und wohl auch ein bisschen länger geraten. Ich wollte mich über Prokrastination der Aufschieberitis – lustig machen. Das ist mir nicht so sehr gelungen. Der Grund ist, das ich nur zu gut weiß, was prokrastinieren ist.

Stellen Sie sich vor, ein Individuum, das mit der gewaltigen Aufgabe betraut ist, eine einfache E-Mail zu beantworten. Etwas, das in einem Paralleluniversum vielleicht zwei Minuten dauern würde. Doch hier, in der faszinierenden Welt der Prokrastination, verwandelt sich diese banale Aufgabe in ein episches Abenteuer, das mit dem Schauen von Katzenvideos, einer plötzlich aufkommenden Passion für die Reinigung von Sockenschubladen und einer dringenden Notwendigkeit, die Geschichte des Radiergummis zu erforschen, gespickt ist.
Die pathologischen Prokrastinatoren sind jedoch eine Stufe für sich. Sie sind die Grandseigneure des Aufschiebens, die es geschafft haben, das, was bei den meisten Menschen eine lästige Angewohnheit ist, in eine Lebensform zu verwandeln. Ihre Fähigkeit, Aufgaben aufzuschieben, ist so ausgeprägt, dass sie fast schon bewundernswert ist – wenn sie nicht so tragisch wäre. Sie navigieren durch das Leben wie ein Schiff ohne Segel, ständig vom Wind der Ablenkung in neue, unerforschte Gewässer der Zeitverschwendung getrieben.

Diese Menschen leben in einem Zustand permanenter Selbsttäuschung, fest davon überzeugt, dass „später“ ein magischer Zeitpunkt ist, an dem sie plötzlich die Motivation, Energie und Zeit finden werden, um all die Dinge zu tun, die sie heute so kunstvoll umgehen. „Später“, dieses sagenumwobene Land, in dem Steuererklärungen sich selbst ausfüllen, Fitnessziele automatisch erreicht werden und die Bücher, die sie zu lesen vorgeben, sich selbst verschlingen.
Man darf auch nicht die psychologische Raffinesse vergessen, mit der diese Prokrastinatoren ihre Umgebung manipulieren. Sie sind Meister der Ausrede, Virtuosen der Verzögerung, die in der Lage sind, die simpelsten Aufgaben in herkulische Herausforderungen zu verwandeln, die nur mit der richtigen Ausrichtung der Sterne bewältigt werden können.

In ihrer Essenz sind diese Menschen jedoch nicht nur faule Zeitverschwender. Oft sind sie gefangen in einem Netz aus Angst, Perfektionismus und einem tief verwurzelten Glauben an ihre eigene Unzulänglichkeit. Ihre Prokrastination ist nicht bloß ein Zeichen von Faulheit, sondern ein komplexer Tanz um die Angst vor dem Scheitern, der Verurteilung und dem Druck, zu performen.

Doch in einer Welt, die Schnelligkeit und Effizienz über alles stellt, sind sie die Poeten des Zögerns, die letzten Verteidiger der Idee, dass nicht alles sofort geschehen muss. Vielleicht, nur vielleicht, haben sie uns etwas Wichtiges über das Leben zu lehren: Dass manchmal der längste Weg zum Ziel der lohnendste ist. Oder vielleicht sind sie einfach nur verdammt gut darin, Zeit zu verschwenden. Wer weiß das schon?
Der Anruf den ich machen soll, ist mir unangenehm. Sehr sogar, denn ich muss um etwas bitten.

Um etwas Zeit zu gewinnen, inneren Anlauf zu nehmen, rabarbere ich den Anruf in Gedanken immer wieder durch, während ich meine Wäsche mache. Danach putze ich noch meine Küche, immer wieder, nervös und unangenehm berührt, auf die Uhr schielend. Kurz vor dem Mittag, fällt mir ein, das ich meinen Müll auch schon länger nicht mehr runter gebracht habe – das muss aber noch!
Erleichtert stelle ich hernach fest, das es jetzt ohnehin nicht mehr geht, denn der/die/das ich anrufen sollte, ist ab Mittag nicht mehr da. Also Morgen.
Tatsächlich fühlt es sich für viele Menschen wie eine Erleichterung an, wenn man unangenehme Dinge bis zur Unmöglichkeit vertrödelt, nur um sie „nicht jetzt“ machen zu müssen.

Dafür lässt er/sie sich nur allzu gerne ablenken. Willkommen sind lästige Whatsapp, Tiktok oder Instagram chat, die Freundin würde gerne eine Kaffee trinken gehen? Noch besser jemand braucht meine Hilfe und ich muss sofort los.
Sollten keine dieser Ablenkungen zur Verfügung stehen tut solch ein Mensch seltsamerweise stattdessen andere Dinge, die ihm ansonsten unangenehm sind. In meinem Fall könnte das Wäsche, Staubsaugen oder Küche putzen sein – was ich leidlich gerne verschiebe.
Am Ende hat man fast ein gutes Gewissen und ein leichtes Erfolgsgefühl, denn man hat ja was gemacht, was das schlechte Gewissen, wegen dem versäumten Anruf nahezu aufwiegt.
Der Gedanke, das man das morgen aber machen muss und dies eventuell noch unangenehmer ist, weil eine gesetzte Frist schon fast abgelaufen ist, wird die nächsten paar Stunden weggeschoben.

Erst abends, wenn man sich das nächste Mal erinnert, steigt einem diese kochend heiße Gefühl hoch und die Furcht vor dem Anruf, das verzweifelte Gefühl es nicht machen, sich nicht kümmern zu wollen, ist wieder da. So schlägt man sich dann auch noch die ganze Nacht um die Ohren, nur um ja die zeit hinaus zu zögern, die man noch hat, vor diesem Anruf. Einschlafen und dann aufzuwachen, nein, das geht viel zu schnell.
Und genau ab hier verkehrt sich nun meine beabsichtigte Satire in einen kleinen Seelenstriptease.

Warum?

Weil ich einer der größten und Besten Prokrastinierer auf Gottes Erdboden war.
Und es mir unangenehm ist, das zuzugeben. Ich war so gut darin, das andere oft nicht einmal bemerkten, das ich bloß Verschiebe, ich habe mich so geschickt aus den dingen herausgeredet, das viele sich mir gegenüber schuldig fühlten und mich, der ich in meinem Selbstmitleid schwamm, auch noch getröstet haben, weil ich wieder einmal etwas nicht geschafft habe. Gesegnet sind die, die Eltern, Freunde oder Kollegen haben, die – wenn es drauf ankommt, einen bei der Hand nehmen und mit großer Energie alles daransetzen, dir zu helfen, deine Deadline, Aufgabe oder Wünsche noch zu erreichen. Das sind wahre Engel, weil sie über deine Mängel hinwegsehen können und nur die Not bemerken, in der du gerade bist. Und solchen Engeln begegnet man nicht all zu oft.

Studenten haben meist fast ein Schuljahr dafür, ihre Abschlussarbeiten zu schreiben. Das sind 6 – 8 Monate. Manche haben schon nach 2 Monaten alles fertig, manche 2 Monate vor der Deadline und manche 2 Wochen davor noch nicht einmal ein Konzept. Tausenderlei andere Dinge waren wichtiger, das Treffen hier, der Verein da, die Freundin dort und diese eine Reise. Am Ende – wenn man dieses Glück hat – sitzt die ganze Familie zusammen, sortiert Bilder, beschriftet, katalogisiert und liest Korrektur. Am Ende wird die Arbeit auf den letzten Drücker abgegeben, für gut befunden und der/die Studentin braucht erstmal eine Pause. Denn solch ein Vorgehen kostet unglaubliche Mengen Energie. Über die nach Luft röchelnde Familie wollen wir lieber schweigen.

Der Prokrastinnator bleibt dennoch unzufrieden zurück, denn die abgegebene Arbeit ist nur halb so gut, wie sie hätte sein können. Er oder Sie weiß das auch, tut aber so, als wäre man zufrieden mit der mittelmäßigen 3, die man bekommen hat. Ist es einmal doch eine bessere Note, dann tut man sie lässig ab, um nicht zugeben zu müssen, das mans ohne fremde Hilfe gar nicht geschafft hätte.

Was treibt Menschen an alles Unangenehme vor sich herzuschieben?
Und was ist denn das Unangenehme eigentlich?

Hier kann ich nur aus der Erfahrung meiner Jahre sprechen. Einen Prokrastinatoren erkennt man recht einfach. Er/sie ist schlampig. Unordentlich. Unorganisiert und mit recht wenig Selbstdisziplin.
Was aber im krassen Gegensatz zu dem zur Schau gestellten Perfektionismus ist, wenn es um Projekte, Ziele oder Vorgaben geht, die unser Porkrastinator erfüllen soll oder gerne möchte.
Aufräumen zum Beispiel ist etwas, was sie am allerliebsten verschieben, das ist einfach und bricht keinem ein Bein. Es sei denn, sie sollen etwas tun, was noch unangenehmer ist. Oder es kommt Besuch. Dann wird aufgeräumt, das der Dreck nur so fliegt.

Um auf mein Beispiel am Anfang zurück zu kommen: Ich habe lieber stundenlang meine Wohnung geputzt, als ein 5 minütiges unangenehmes Telefonat zu führen. Weil ich Angst hatte – Angst davor, als etwas erkannt zu werden, als das ich mich selbst nicht sehen wollte. Angst, ein Nein zu hören, Angst nicht gut genug zu sein, Angst vor dem Versagen – kurz, eine ziemlich kleines Selbstwertgefühl und wenig Selbstvertrauen hatte. Weshalb ich mich dann hinter unerreichbaren Perfektionismus versteckte, einem weiteren totsicheren Hinweis auf Prokrastination und eine weitere perfekte Ausrede für ein eventuelles, im Voraus befürchtetes, Versagen.

Ich spreche hier natürlich nicht mehr vom zeitweiligen Trödeln, ich spreche hier von Energielosigkeit, Depression und dem Unwillen, sich um etwas kümmern zu müssen. Was nun unangenehm ist und was nicht, kann nicht so einfach gesagt werden, das hängt sehr davon ab, wie weit sich dieser Mensch schon mit seiner Verschieberitis arrangiert hat.

Ganz am Anfang sind es oft nur Kleinigkeiten und das beginnt schon, wenn man selbst noch sehr jung ist. Denn Prokrastination entsteht aus mangelndem Selbstwert, den man sich eigentlich in jüngsten Jahren aneignet. In vielen Fällen kommt es nur manchmal vor .. in bestimmten Situationen.
In anderen Fällen ist es stärker ausgeprägt. Je nachdem, welche Selbstwertprägung man schon als kleiner Mensch erfahren hat.
Ich war ein Mobbing Opfer, wurde in meiner Schulzeit verprügelt, verspottet und zum Narren gemacht. Oft sogar von Menschen, denen man zuvor sehr vertraut hat.

Ich war nicht gut genug, nicht schlau genug, nicht schnell oder logisch oder eben ordentlich genug. Es gab leider so ziemlich nichts, was mir Lob und Anerkennung eingebracht hätte.
So beginnt man vielleicht die Schule zu verschieben – äh – zu schwänzen. Krankheiten zu simulieren, bis man tatsächlich krank ist. Man beginnt Dinge zu vergessen, weil man sich in Gedankenwelten verliert und die grausame Wirklichkeit verdrängt. Damals waren es die Bücher von Karl May für mich. Lesen war meine Flucht.

Wehe man hätte mich damals gezwungen, auf meine reisen durchs wilde Kurdistan oder die Wüste zu verzichten oder auf meinen Ritt auf Hatatidla durch die Teton Range der Rocky Mountains! Wenn mich jemand davon abgehalten hätte, mich dem bösen Schut zu stellen oder Santer quer durch alle Prairien zu jagen, ich hätte mit Ablehnung, heftigen Argumenten und Protest geantwortet und Strafen dafür riskiert. Niemand hat erkannt, warum ich wirklich las, die Bücher regelrecht verschlang, im Gegenteil, dafür wurde ich gelobt. So habe ich begonnen, alles an Literatur und Zeitschriften zu fressen, welcher ich habhaft werden konnte. Und mein Vater hatte immer schon viele Bücher, vor allem Dokumentationen und eben Karl May.
Ich habe so, schon relativ früh, recht viel Wissen angehäuft, was ein weiterer Motor des Mobbings an mir war. Nerd, Streber, Besserwisser …
Der heutige junge Mensch greift eher zu Games auf Handy und Tablet denn zu Büchern oder saugt sich an TV Serien fest, aber die Gründe dafür sind absolut die selben. Flucht und Verdrängung.

Nur glaube ich, das wir uns die Prokrastinatoren der Zukunft gerade selbst heranziehen damit. Doch ich lenke ab.
Meine Vergesslichkeit war lange Zeit eine meiner zuverlässigsten Begleiterinnen, die für reichlich peinliche Momente gesorgt hat. Aber: sie war auch meine beste Ausrede, Vergessen ist schließlich menschlich und macht man ja nicht absichtlich. Dachte ich.
Im Laufe der Zeit wird dann also Alles unangenehm, zunächst die Dinge, von denen man glaubt, das man sie nicht gut kann. Man wird lieber ein faules vergessliches Aas geschimpft, weil man das ohnehin von sich selber glaubt, als sich wieder und wieder die Demütigung zu holen, das man dieses oder jenes wieder einmal nicht gut genug gemacht hat.

Denn geschimpft wurde ich ohnehin, so konnte ich mir wenigstens aussuchen, wofür ich geschimpft wurde.
Wenn ich an meine Kindheit denke, dann erinnere ich mich nur an einen Jungen, der Angst hatte. Angst vor anderen Kindern, ja, seinen eigenen Geschwistern, Angst davor als schwach zu gelten, Angst davor, verprügelt zu werden, Angst vor Spott und Demütigung und Denunziation.
Da unser Gehirn ein ganz schlauer ist und gelernt hat, wie oft man mit Verschieberei durchgekommen ist, legt man dieses Wissen irgendwann einmal auf alles um, das in irgendeiner Form unangenehm sein KÖNNTE und einen MÖGLICHERWEISE aus der Traumwelt reißt, in der man sich so sicher fühlt. Dann werden auch ganz alltägliche Dinge wie Einkaufen, Haushalt, ja oft sogar eine Beziehung zu führen, unangenehm empfunden und daher vermieden. Ein ziemlich pathologischer Befund.

So manifestiert sich das über die Jahre, man wird zu einem Meister der Vermeidung, bis man am ende Menschen vermeidet und zum Misanthropen wird, der jeden Glauben an Menschheit und Freundschaft verloren hat. Vermeidung wird zur Lebensstrategie. Alles, nahezu alles, das getan werden soll, wird Belastung, egal was es ist – wenn ein soll oder muss dranhängt, löst es sofort Unwillen aus. Überforderung.

Ich glaubte lange Zeit meines Lebens ein Feigling zu sein, selbst die Schuld daran zu tragen, wenn andere mich verdroschen haben. Ich habe mir die Schuld daran gegeben, wenn man mich als Nerd beschimpfte, wenn man mich mit meinem Namen provozierte, wenn man mich trat, schlug und quälte.
Und über allem stand flehentlich der Feigling, der sich nicht getraute, sich zu wehren oder seinen Eltern zu sagen, was tatsächlich hier passiert. Ich glaubte, das mir niemand glauben würde und so hat mir auch niemand geglaubt.

Also habe ich nichts mehr gesagt und in der Schule buchstäblich fürchterliches erduldet – ich hatte es auf eine schräge und seltsame Weise ja verdient, denn es musste ja ich sein, der etwas falsch macht, der irgendwie zu blöd war, um in diese Gesellschaft zu passen. Ich konnte ja niemandem sonst die Schuld daran geben, als mir. Denn egal wohin ich ging, es war überall und in jedem Umfeld immer dasselbe.
Und so habe ich angefangen, mich Selbst zu Vermeiden. Mein innerstes, meinen Schmerz. Ich habe mich in Logik und Wissen vergraben, mich gleichsam damit bedeckt, wie mit einer schützenden Rüstung.
Ich habe es letztlich Vermieden geliebt zu werden und verhinderte damit den Schmerz wieder verletzt zu werden.

Ich kreierte ein narrativ meiner Selbst. Eine Erzählung jemandes, der ich gerne wäre. Ich weiß, ich habe es oft sehr überzeugend dargestellt. Aber das kostet Kraft und Energie. Die irgendwann einmal nicht mehr ausreicht, worauf das narrativ zusammenbrechen muss. Und dann wird man durchschaut, dann reicht auch Liebe nicht mehr, dann bleibt oft nur Scham und der müde Versuch, sich in Erklärungen zu verlieren um wenigstens ein wenig das Gesicht zu wahren.

Und ich habe im Stillen meine unendlich laufenden salzigen Tränen geweint, weil ich wieder jemanden, der an mich geglaubt hat, eingewoben in meine kultiviert raffinierten Worte, ins Kreuzfeuer meines inneren Krieges gezogen habe. Und auf dem Schlachtfeld meiner inneren Krawalle sterben lies.
Ich habe viele Menschen in meinem Leben verloren damit. Meine eigene Erzählung aufrechterhaltend, den Helden des Dramas weiter schreiten lassend, habe ich so getan, als würde mich der Verlust nicht kratzen – über den Dingen stehend, ein Held eben, der am stärksten alleine ist. Aber ich sage euch, ich habe es jedes mal wie eine Erderschütterung gespürt, ein Beben der Seele, ein trotziges Aufbegehren meines inneren weggesperrten Jungen.
Bis letztlich meine erfundene Geschichte auch vor meinem eigenen Spiegel zerbrach und mich in dunkelste Abgründe warf. Die darauf folgende Einsamkeit war eine lange, schmerzhaft und tränenreich aber heilend; ich habe endlich Kräfte und Dinge in mir entdeckt, derer ich vordem nicht bewusst war.
Das waren verschiedene Versionen von dem, das ich mir für mich erträumt habe, aber anders, als ich sie erwartet habe. Einfacher, viel tiefer und klarer, als in meiner Vorstellung.

Zeit. Zum ersten Mal in meinem leben habe ich Zeit mit mir selbst und meinen Träumen verbracht. Zeit ist in diesen Jahren das wichtigste für meine Heilung gewesen.
Zeit einfach nur ich zu sein war ein unendlicher Luxus, den ich mir plötzlich erlauben konnte.
Denn ich hatte niemanden mehr um mich, der wirklich mit mir sein wollte.
Ich behaupte nicht, das es leicht war, diese Einsamkeit durchzustehen, aber am Ende ist es ganz einfach gewesen.
Ich bin irgendwie gar nicht in der Lage, mich über Prokrastinatoren lustig zu machen, denn das hieße, mich über mich selbst und meine Vergangenheit lustig zu machen und obwohl ich das gerne möchte – um zu zeigen ich bin drüber weg – der Held eben; das lässt der emotionale Zustand, den das Thema während des Schreibens grade erzeugt, nicht zu.

Die wichtigste Lektion dieser Jahre und in meinem Leben war:
Letztlich geht es immer – nur um einen Selbst.
Ja, genau, dieses verhasste kleine Jungen ich, da ganz tief hinten in der Seelenhöhle. Das bin ich, das war ich immer und ich werde es immer sein.
Schritt für Schritt lies ich ihn heraus, ich habe vorsichtig mal den einen, dann den anderen Zeh nach vorn gestellt, um die Welt in der ich lebe, mit neuen Augen zu entdecken.

Und so hab ich mich langsam nach vor gewagt, an den Rand des Nestes und zum ersten mal wirklich in die Tiefe und zum Horizont geschaut. Die erstaunten blauen Augen des Thomas haben Details entdeckt, die er nie für möglich gehalten hat.
Und so hat der kleine Junge, der, von meinem Verstand verurteilt, 50 Jahre unschuldig in der staubigen Höhle meines Narrativs verbringen musste, das erste mal gewagt, seine Flügel auszubreiten und sich in die Tiefe fallen zu lassen.
Liebe Prokrastinatoren. Ihr seid die liebenswertesten Lügner der Welt, man möchte euch umarmen, an der Hand nehmen, begleiten, beschützen und knuddeln und manchmal möchte man euch einfach auf den Mond schießen.
Wir haben euch gern, ihr seht es nur nicht und, wir wissen, das ihr Lügner seid – wir wissen es jedes Mal – wir sind nur zu liebenswürdig euch zu sagen: Ich durchschaue dich und weiß, das Du Dich nur wieder raus redest.
Die einzigen die ihr noch anlügen könnt und die euch unbedingt glauben wollen, seid ihr selbst.