In der neuesten Episode von „Der Schalltrichter“ nimmt Thomas Speck euch mit auf eine tiefgründige Reise ins Jenseits – inspiriert von Andy Weirs Kurzgeschichte „The Egg“.

Du warst auf dem Heimweg, als du gestorben bist.
Ein Autounfall.
Nicht spektakulär, aber tödlich.
Du hattest keine Schmerzen.
Die Sanitäter gaben ihr bestes, dich zu retten, aber erfolglos.
Dein Körper war vollkommen zerschlagen. Es ist besser so, glaub mir.
Und dann … hast du mich getroffen.
„Was … was ist passiert? Wo bin ich?“
Verwirrt sahst Du mich an.
„Du bist gestorben,“ antwortete ich ruhig. Es gab keinen Grund, die Wahrheit zu beschönigen.
„Da war … ein Lastwagen. Er kam ins Schleudern.“
„Ja.“
„Ich bin … tot.“
Die Erkenntnis sickerte langsam durch.
„Ja, aber das ist nicht das Ende. Jeder stirbt irgendwann.“
Du sahst dich um.
Da war Nichts. Nur du und ich und endlose Leere, weder Dunkel noch hell, einfach Nichts.
„Ist das … Das Leben nach dem Tod?“
„So ungefähr.“
„Bist du Gott?“
„Ja, ich bin Gott.“
„Meine Kinder, meine Frau …“
„Was ist mit ihnen?“
„Wird es ihnen gut gehen?“
„So mag ich das“, sagte ich. „Du bist gerade gestorben, und deine größte Sorge gilt deiner Familie. So sollte es sein.“
Fasziniert schautest du mich an. Für dich sah ich nicht aus wie Gott. Ich sah einfach aus wie ein Mann oder eine Frau. Ein bisschen respekteinflößend, vielleicht.
„Keine Sorge“, sagte ich, „ihnen wird’s gut gehen. In der Erinnerung deiner Kinder wirst du für immer perfekt sein. Sie waren noch zu jung, um dich peinlich zu finden. Deine Frau wird trauern, aber insgeheim ist sie auch erleichtert. Seien wir ehrlich, eure Ehe war sowieso vorbei. Falls es dich tröstet, sie wird deshalb große Schuldgefühle haben.“
„Oh. Und jetzt? Komm ich jetzt in den Himmel, oder die Hölle oder so?“
„Weder noch. Du wirst wiedergeboren.“
„Ah! Also hatten die Hindu recht.“
„Alle Religionen haben auf ihre Art recht. Komm, gehen wir ein paar Schritte.“
Du gingst neben mir her, wir schritten durch das Nichts.
„Wohin gehen wir?“
„Nirgendwohin. Es ist einfach schön, beim Reden zu gehen.“
„Wozu das Ganze? Wenn ich wiedergeboren werde, fang ich bei null an, oder? Als Baby. Alles, was ich in diesem Leben getan habe. Alle Erlebnisse und Erfahrungen. Alles umsonst.“
„Nicht doch. Du trägst all das Wissen und die Erfahrungen deiner vergangenen Leben in dir. Du kannst dich nur jetzt gerade nicht daran erinnern.“
Ich blieb stehen und legte meinen Arm auf Deine Schulter.
„Deine Seele ist wunderbar. Unvorstellbar schön und gigantisch groß. Der menschliche Verstand kann nur einen Bruchteil davon fassen. Es ist wie wenn du einen Finger ins Wasser hältst, um rauszufinden, ob es warm ist oder kalt. Du streckst nur einen kleinen Finger von dir hinein, und trotzdem gewinnt Dein ganzer Körper und Dein Verstand alle Erfahrungen, die dieser Finger von dir gemacht hat. Du warst die letzten 48 Jahre lang in einem Menschen. Du hast dich als Seele noch nicht wieder genug entfaltet, um dein riesiges Bewusstsein zu spüren. Wenn wir lange genug hier wären, würdest du dich mit der Zeit an alles erinnern. Aber zwischen den einzelnen Leben bringt das nichts.“
„Wie oft wurde ich denn schon wiedergeboren?“
„Oh, oft, sehr oft. Und in viele verschiedene Leben. Diesmal wirst du ein Bauernmädchen in China um 540 vor Christus sein.“
„Moment, wie bitte? Du schickst mich in die Vergangenheit?“
„Im Prinzip ja. Aber die Zeit, wie du sie kennst, gibt es nur in deinem Universum. Wo ich herkomme, ist alles anders.“
„Wo du …Wo du herkommst?“
„Klar. Auch ich komme irgendwo her. Und es gibt andere wie mich. Jetzt willst du natürlich wissen, wie es da so ist, aber um ehrlich zu sein, du würdest es nicht verstehen. Noch nicht“
„Oh …“, sagtest du enttäuscht „Aber Halt! Wenn ich zu verschiedenen Zeiten wiedergeboren werde, könnte ich mich auch schon selbst angetroffen haben.“
„Natürlich, das hast du schon oft. Und da du in diesen beiden Leben nur auf Deine jeweilige Existenz fixiert bist, merkst du es nicht einmal.“
„Aber, wozu das Ganze?“
Ich sah dir in die Augen.
„Der Sinn des Lebens, der Grund für dieses Universum ist, dass du dich weiterentwickelst.“
„Du meinst, die Menschheit soll sich weiterentwickeln?“
„Nein, nur du. Dieses ganze Universum hab ich nur für dich geschaffen. Mit jedem neuen Leben reifst du und wirst klüger.“
„Nur ich? Was ist mit allen anderen?“
„Da sind keine anderen, in diesem Universum gibt es nur uns beide.“
Verständnislos starrtest du mich an.
„Aber all die Menschen auf der Erde.“
„Alles verschiedene Verkörperungen von dir.“
„Was? Ich bin alle?“
„Jetzt hast du’s kapiert.“
„Ich bin jeder Mensch, der je gelebt hat?“
„Oder je leben wird, ja.“
„Ich bin Abraham Lincoln?“
„Und John Wilkes Booth, sein Mörder.“
„Ich bin Hitler“,
fragtest du entsetzt.
„Und die Millionen, die er umgebracht hat.“
„Ich bin Jesus?“
„Und auch alle seine Anhänger.“
Du wurdest ganz still. Alles, was du je jemandem angetan hast, hast du dir selbst angetan. Jede gute Tat war für dich selbst. Jeder schöne, und jeder traurige Moment, den je ein Mensch erlebt hat, hast du erlebt. Oder wirst du noch erleben. Du dachtest lange nach.
„Warum? Wozu das alles?“
„Weil du eines Tages wirst wie ich. Denn das bist du. Du gehörst zu uns. Du bist mein Kind.“
„Wow“ sagtest du ungläubig. „Ich bin ein Gott?“
„Noch nicht. Du bist ein Fötus. Du wächst noch. Erst wenn du jeder Mensch zu jeder Zeit warst, bist du reif genug, um geboren zu werden.“
„Also ist das ganze Universum nur ein ein ..?“
„Ja, ein Ei,“ antwortete ich. „Und jetzt ist es Zeit für dein nächstes Leben.“

Ein warmes Licht umhüllte dich, als ich Dich auf Deinen Weg schickte und du dich auf Deine Reise begabst.