In dieser Woche taucht Thomas Speck in die Abgründe der sogenannten „Cancel Culture“ ein, einer modernen Hexenjagd, die von den Tugendwächtern des digitalen Zeitalters angeführt wird. Mit seinem unnachahmlichen Mix aus Scharfsinn und Bissigkeit zerlegt Thomas die oberflächliche Moral derjenigen, die sich hinter Bildschirmen verstecken und mit der Empörung des Mobs über andere richten.

In der heutigen Zeit, in der jeder ein Megaphon und niemand ein Filter ist, hat die sogenannte „Cancel Culture“ ihren Zenith erreicht. Diese modische Hexenjagd, angeführt von den selbsternannten Moralaposteln des digitalen Zeitalters, gleicht einer modernen Inquisition, die keine Gnade kennt und keine Nuancen duldet. Es ist die Zeit der Tugendhaften, die keine Fehler erlauben und Vergebung zu einer Entbehrlichkeit degradiert.

Was ist Cancel Culture eigentlich? Auf den Punkt gebracht ist Cancel Culture ein modernes Phänomen, bei dem Menschen oder Organisationen aufgrund von Meinungsäußerungen, Verhalten oder gar historischen Fehltritten öffentlich boykottiert und geächtet werden. Diese Bewegung nutzt soziale Medien als Hauptwaffe, um sofortige und weitreichende Konsequenzen zu erzielen. Die Betroffenen, oft ohne angemessene Möglichkeit zur Verteidigung oder Erklärung, werden sozial und beruflich isoliert. Ja, es ist die digitale Revolution, die einst versprach, die Menschheit zu vereinen, nun jedoch als Guillotine der Gegenwart dient.

Ich bin mit Karl May aufgewachsen, habe im Grunde mit seinen Schriften das Lesen erst richtig gelernt, obwohl seine Bücher für mein damaliges Alter wahrscheinlich zu „groß“ waren. Trotzdem habe ich niemals einen Schaden davongetragen. Im Gegenteil! May hat mich entführt, verführt dazu, von großen Reisen zu träumen und epische Abenteuer zu erleben.

Und dann kam der Ravensburger Verlag. Und ich kann nun Karl May, dessen Geschichten ich zum Teil immer noch auswendig weiß, stellvertretend verwenden, um die Dummheit der Cancel Culture darzustellen.

Denn nach großer Kritik liefert also der Verlag Ravensburger das Buch „Der junge Häuptling Winnetou“ zum gleichnamigen Kinofilm nicht mehr aus. Im Netz wurde den Geschichten von Karl May rassistische Vorurteile nachgesagt. Es handele sich um einen Fall von unerwünschter „kultureller Aneignung“. Und ich habe begonnen, einen unglaublichen Frust auf diese Leute zu schieben, eine Welle der Verachtung gespürt für das übertriebene Woke-sein, für eine Dummheit, die ihresgleichen sucht. Dass Karl May der kulturellen Aneignung beschuldigt wird, ist ein Armutszeugnis für jene, die offenbar den Kern seiner Werke nie verstanden haben.

Mays Reiseerzählungen können gar nicht kulturelle Aneignung sein, weil sie etwas viel Tieferes repräsentieren: eine Hommage an die menschliche Vorstellungskraft und die universelle Sehnsucht nach Abenteuer und Erkenntnis. Karl May, ein Mann, der selbst nie die Orte besuchte, die er in seinen Geschichten so lebendig und detailreich beschrieb, war nicht daran interessiert, die Kulturen zu vereinnahmen, über die er schrieb. Vielmehr benutzte er sie als Leinwand, um universelle Themen wie Gerechtigkeit, Freundschaft und den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse zu schildern.

Er erschuf Figuren wie Winnetou und Old Shatterhand, die für Werte wie Ehre, Mut und Integrität stehen, unabhängig von kultureller Herkunft. Mays Werke sind keine Abhandlung über indigene Kulturen, sondern vielmehr ein Zeugnis seiner Bewunderung und seines Respekts für diese. Er hat nie behauptet, ein authentisches Bild der indigenen Völker Nordamerikas zu zeichnen, sondern Geschichten über sie mit einem europäischen Blick neu interpretiert, um sie einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Wenn wir Mays Werke heute unter dem Prisma der kulturellen Aneignung betrachten, entziehen wir ihnen die Möglichkeit, als Brücke zwischen den Kulturen zu dienen. Die Forderung nach der Auslieferungseinstellung von „Der junge Häuptling Winnetou“ durch den Verlag ist nicht nur eine Fehlinterpretation der Absichten Karl Mays, sondern auch eine gefährliche Reduktion dessen, was Literatur leisten kann. Literatur soll inspirieren, Grenzen überschreiten und uns in Welten entführen, die wir sonst niemals betreten würden. Sie soll uns die Augen öffnen für das Unbekannte und uns gleichzeitig lehren, das Fremde zu respektieren und zu schätzen.

Anstatt Karl May zu verurteilen, sollten wir die Gelegenheit nutzen, seine Werke im Kontext ihrer Entstehungszeit zu verstehen und zu erkennen, dass seine Geschichten mehr über die Sehnsüchte und Träume der Menschen erzählen als über die Kulturen, die sie beschreiben. Die wahre kulturelle Aneignung wäre es, wenn wir aufhören würden, diese Geschichten zu lesen und zu diskutieren, sie aus unserer kollektiven Erinnerung zu löschen und damit die Möglichkeit zu verlieren, aus ihnen zu lernen und sie zu würdigen.
Karl May hat Generationen von Lesern inspiriert, mutig zu träumen und die Welt mit neugierigen Augen zu sehen. Seine Reiseerzählungen sind ein Vermächtnis der menschlichen Vorstellungskraft und der Fähigkeit, über die eigenen kulturellen Grenzen hinauszublicken. In einer Zeit, in der wir mehr denn je Verständnis und Empathie brauchen, sollten wir diese Geschichten nicht zensieren, sondern feiern und als Ausgangspunkt für einen echten Dialog über kulturelle Vielfalt und gegenseitigen Respekt nutzen.
Nun, das sind meine 2 Cent dazu.

Wem ist wirklich geholfen, wenn Menschen aufgrund ihrer Frisuren verurteilt werden oder weil sie die Gewänder eines anderen Volkes tragen? Wem hilft es, wenn wir Karl May diabolisieren? Diese Maßnahmen schaffen keine echte Gerechtigkeit oder Verständnis, sondern fördern eine Kultur der Angst und der Oberflächlichkeit. Die wahren Probleme und Ungerechtigkeiten bleiben ungelöst, während wir uns in symbolischen Aktionen verlieren, die keine substanzielle Veränderung bewirken.

Und wer sind diese Tugendwächter, die sich am Schafott der Cancel Culture versammeln, um das nächste Opfer hin zu richten? Das sind die moralischen Rattenfänger des digitalen Zeitalters, versteckt hinter ihren Bildschirmen und Twitter-Handles, bereit, mit dem Finger auf jeden zu zeigen, der nicht in ihr enges Weltbild passt. Sie sind die hyperempfindlichen Schreihälse, die sich von Empörung zu Empörung hangeln, immer auf der Suche nach dem nächsten Skandal, um ihre moralische Überlegenheit zur Schau zu stellen.
Das ist umso auffallender, als sie sich stets für die Rechte Anderer einsetzen, wovon jene Anderen meist nicht einmal etwas wissen, es gar nicht unterstützen oder gut heißen. Sehr oft ist sogar das Gegenteil der Fall. Das wiederum hat noch nie einen der Schreihälse dazu gebracht, sich dafür zu rechtfertigen. Aus meiner bescheidenen Sicht, sind es sie, die sich an fremden Kulturen bedienen, nur um daraus ihr kleines Quäntchen Aufmerksamkeit zu generieren – das dies meist auf Kosten eines Anderen geht, scheint sie dabei nur noch zu berauschen.

Ich weiß, diese Art der Argumentation zieht sich wie ein roter Faden durch so viele meiner Episoden – aber, und dies ist das eigentlich Traurige – nahezu alles, was uns an öffentlichem Benimm so unangenehm ins Auge sticht, lässt sich ohne weiteres auf dies als kleinsten Nenner herunterbrechen.

Am Ende schadet Cancel Culture mehr, als sie nützt. Sie fördert eine Atmosphäre der Intoleranz und Angst, in der niemand sicher ist und alle vorsichtig darauf bedacht sind, nicht das nächste Opfer zu werden. Wenn wir wirklich eine gerechtere und verständnisvollere Gesellschaft wollen, müssen wir uns von dieser oberflächlichen und destruktiven Praxis abwenden und den Weg für Dialog, Bildung und wahres Verständnis ebnen. Cancel Culture ist die Guillotine der Gegenwart, bereit, jeden zu köpfen, der sich auch nur einen Millimeter außerhalb der moralischen Schablone bewegt. Mit der Geschwindigkeit eines Shitstorms und der Ungnade eines Mobs wird das Urteil vollstreckt, bevor der Angeklagte überhaupt eine Chance auf Verteidigung hat. Ein falsch verstandener Tweet, ein unglücklicher Kommentar oder auch nur eine historische Verfehlung aus grauer Vorzeit reichen aus, um das Scherbengericht der digitalen Richter zu entfachen.

Indem wir uns auf solche Äußerlichkeiten konzentrieren, verpassen wir die Chance, tiefere Gespräche über kulturelle Sensibilität, Geschichte und gegenseitigen Respekt zu führen. Die Energie, die für das „Canceln“ aufgewendet wird, könnte stattdessen in Bildungsprogramme, offene Diskussionen und echte soziale Reformen fließen. Cancel Culture schafft eine Illusion der Gerechtigkeit, während sie in Wirklichkeit nur bestehende Gräben vertieft und die Gesellschaft weiter polarisiert.

Es ist die Ironie des Schicksals, dass diese Bewegung, die sich selbst als Kämpfer für Gerechtigkeit und Gleichheit sieht, mit den Methoden von Tyrannen und Despoten arbeitet. Es gibt keinen Raum für Dialog, keine Gelegenheit für Wiedergutmachung. Cancel Culture ist kein Streben nach Wahrheit oder Verständnis, sondern ein unbarmherziger Kampf um die moralische Oberhoheit. Sie stürzt sich auf ihre Opfer mit der Gnadenlosigkeit eines Raubtiers und genießt jeden Moment der öffentlichen Hinrichtung.

Die Moralisten baden in der virtuellen Anerkennung ihrer Gleichgesinnten, während sie mit sadistischer Freude zuschauen, wie Leben und Karrieren zerbröseln. Diese digitalisierten Eiferer sind die Henker unserer Zeit, die glauben, dass ein Retweet oder ein empörter Kommentar auf Instagram die Welt verbessert, während sie in Wahrheit nur ihren narzisstischen Durst nach Aufmerksamkeit und Kontrolle stillen. Ihnen geht es nicht um Dialog oder Verständnis, sondern um das schnelle, befriedigende Gefühl der Zerstörung. Und während sie in ihrem digitalen Kreuzzug durch die sozialen Medien fegen, hinterlassen sie eine Spur der Verwüstung und der Angst. Schande über diese selbstgerechten Heuchler, die sich an der Oberfläche der Moral ergötzen, aber in Wirklichkeit nichts anderes sind als die Tyrannen, die sie vorgeben zu bekämpfen. Das ist Ethik falsch gedacht, Leute!

Denn, Moral ist die Gesamtheit von ethisch-sittlichen Normen, Grundsätzen und Werten, die das zwischenmenschliche Verhalten einer Gesellschaft regulieren und von ihr als verbindlich akzeptiert werden. Dazu gehört auch das sittliche Empfinden und Verhalten eines Einzelnen oder einer Gruppe; kurz gesagt, Sittlichkeit. Aber wie kann es sittlich sein, jemanden wegen einer Aussage zu canceln? Selbst ein Schwerverbrecher vor Gericht hat das Recht, gehört zu werden und sich zu erklären. Jemanden oder sein Werk, Wirken oder Schaffen schlichtweg auszulöschen, ist ebenso wenig moralisches Verhalten wie das, was man demjenigen eventuell vorzuwerfen hat.

Die jetzige Handhabung dieser „Moral“ ist nichts weiter als der Missbrauch einer Waffe, für dessen Nutzung sich die Moralpropheten selbst das Recht gegeben haben. Sie spielen sich als Richter, Jury und Henker auf und verkennen dabei völlig, dass sie damit ihren eigenen moralischen Bankrott erklären.
Sie sind nicht die tugendhaften Wächter der Gerechtigkeit, als die sie sich darstellen, sondern bloß die neuen Tyrannen, die mit der Arroganz ihrer Selbstgerechtigkeit alles niederwalzen, was nicht in ihr engstirniges Weltbild passt.
Ihre vermeintliche Moral ist nichts weiter als ein Trugbild, ein trauriger Beweis dafür, dass sie selbst unfähig sind, die echten Prinzipien der Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu begreifen.
Und wie so oft funktioniert das nur, weil sich in der Masse der Trittbrettfahrer im semi-anonymen Umfeld der sozialen Medien gut verstecken ist, eben dort, wo niemand seine wahre Authentizität leben muss – ohnehin etwas von höchstem Seltenheitswert heutzutage.

In dieser bizarren Parallelwelt sind Menschen keine komplexen Wesen mehr, die Fehler machen und daraus lernen können. Nein, sie sind entweder Heilige oder Verdammte: Schwarz oder Weiß, Gut oder Böse. Der Weg dazwischen, der Raum für menschliche Schwächen und Reue, wurde gnadenlos zubetoniert. Es ist eine Welt der binären Urteile, in der ein einziger Fehltritt eine Karriere, ein Leben, eine Reputation in Sekundenschnelle zerstören kann.

Die wahren Verlierer dieser Kultur sind nicht nur die Opfer der Cancel-Kampagnen, sondern wir alle. Die Gesellschaft wird zu einem Minenfeld, in dem jeder Schritt ein potentielles Desaster birgt. Freie Meinungsäußerung wird zur Mutprobe, Authentizität zur Gefahr. Der öffentliche Diskurs verkommt zu einem Zirkus der Selbstzensur, in dem niemand wagt, über die Stränge zu schlagen, aus Angst, der nächste auf der Liste zu sein.

Und was bleibt am Ende dieser moralischen Säuberungen? Ein digitales Schlachtfeld, übersät mit den Leichen von Karrieren, Träumen und Reputationen. Ein Schweigen, das lauter schreit als jede Anklage. Eine Gesellschaft, die ihre eigenen Mitglieder frisst und sich dabei einbildet, auf der Seite der Gerechtigkeit zu stehen.

Cancel Culture mag sich als Instrument der sozialen Gerechtigkeit tarnen, doch in Wirklichkeit ist sie ein perfider Spiegel der menschlichen Doppelmoral und ein trauriges Zeugnis unserer Unfähigkeit zur Vergebung.
Am Ende ist deren Blase auch nur eine kleine hohle Echokammer, nur eine weitere der neuen Jericho Posaunen, nur das sie heute die Mauern der Menschlichkeit einreißen und den Boden für Extreme bereiten.