In dieser Folge von Der Schalltrichter packt Thomas Speck seine satirische Kettensäge aus und macht kurzen Prozess mit der „Google-Logik“. Was braucht man schon Wissenschaft, wenn das Internet doch die ultimative Quelle der Wahrheit ist? Thomas seziert den modernen Irrglauben, dass ein schneller Blick in die Suchmaschine ausreicht, um das eigene Weltbild kugelsicher zu untermauern – und das natürlich ganz ohne Fakten. Schließlich kann ja jeder „selber denken“, oder?
Weißt du, was mich wirklich auf die Palme bringt? Diese göttliche Fähigkeit mancher Menschen, das Internet als die ultimative Quelle der Weisheit zu betrachten. Es ist fast schon beneidenswert. Du fragst nach handfesten Beweisen für ihre kruden Thesen, und sie verweisen dich mit einem triumphierenden Lächeln auf Google, als hätten sie gerade die Weltformel entschlüsselt. Google! Natürlich. Ich weiß nicht, wie ich so lange ohne diese unfehlbare Suchmaschine überlebt habe, die offenbar das letzte Bollwerk der unangefochtenen Wahrheit ist. Danke an Christian Fill, für die Inspiration zu dieser Folge.
Die Logik dahinter ist bestechend einfach: Steht es im Internet, muss es ja stimmen. Schließlich haben wir alle gelernt, dass dort ausschließlich Experten mit weißen Kitteln und Doktortiteln in Harvard-Schriftzug das Sagen haben. Jeder Artikel, der auf den ersten zwei Seiten von Google erscheint, wurde natürlich akribisch von Nobelpreisträgern verfasst und durch mindestens drei Faktenchecker geschleust. Es gibt ja sonst keine „Alternativfakten“, die sich wie Gammelfleisch in den Tiefen des Netzes herumtreiben und darauf warten, hungrige, meinungsbildende Hirne zu infizieren.
Doch es kommt noch besser: Die Argumentation ist nicht nur glasklar, sie ist auch kugelsicher. Du versuchst zu diskutieren, und was hörst du? „Lies doch einfach mal nach!“ Ja klar, weil zehn Minuten auf irgendeiner obskuren Website, die aussieht, als hätte sie ein blinder Waschbär in den 90ern auf einer defekten Schreibmaschine programmiert, natürlich meine Argumentation grundlegend verändern wird. Ich meine, wer braucht schon Quellenangaben oder wissenschaftliche Expertise, wenn man „das auch alles selbst recherchieren“ kann? Fakten sind schließlich nur was für Weicheier. Für Menschen, die sich den Luxus erlauben, tatsächlich etwas zu lernen, bevor sie den Mund aufmachen.
Aber jetzt mal ehrlich: Diese ganze „Ich habe das gegoogelt“-Mentalität ist doch ein Symptom für etwas Größeres. Es ist die totale Verweigerung, sich ernsthaft mit der Realität auseinanderzusetzen. Warum komplizierte wissenschaftliche Studien lesen, wenn man sich in einer halben Stunde auf YouTube von einem Typen im Keller mit Aluhut erklären lassen kann, dass die Erde flach ist und der Klimawandel eine Erfindung von Greta Thunberg ist? Es ist doch viel bequemer, sich die Welt so zurecht zu googeln, wie man sie haben will. Wissenschaft? Überbewertet. Journalismus? Mainstream-Schund. Experten? Eine Verschwörung.
Und die Krönung dieses Wahnsinns? Die Echokammern. Diese Filterblasen, in denen sie sich gemütlich einrichten und nur noch das hören, was ihre Überzeugungen stärkt. Es ist wie ein wohliges Bad im Selbstbetrug, bei dem man nie wieder raus muss, weil der Algorithmus dafür sorgt, dass einem nur die Informationen präsentiert werden, die man ohnehin schon glaubt. Keine störenden Fakten, keine unangenehmen Wahrheiten – nur ein stetiger Strom von Bestätigung, bis der eigene Horizont so eng wird, dass selbst ein Hamster darin Platzangst bekommt. Kritik oder Zweifel? Fehlanzeige. Warum sollte man auch raus in die echte Welt treten, wenn die eigene Filterblase doch perfekt gepolstert ist?
Nein, nein, meine Freunde, was wir hier brauchen, ist die ungeschminkte Wahrheit, am besten in Form von schimmligen Stockfoto PowerPoint-Präsentationen, die mit Comic-Sans-Schrift auf matschigen Webseiten verbreitet werden.
Und was dabei besonders schön ist: Diese Leute haben keinerlei Scham, ihre selbsternannte „Bildung“ lautstark zur Schau zu stellen. Populisten sind die wahren Bildungsrevolutionäre. Sie beweisen täglich, dass man nichts wissen muss, um alles zu wissen. Einfach mal behaupten und dann so tun, als sei jeder Widerspruch ein persönlicher Angriff auf die eigene Intelligenz. Wobei, Moment mal – Intelligenz? Das ist vielleicht das falsche Wort. Besser: „Meinungsmuskulatur“.
Und weißt du, was das Beste an dieser sogenannten „Meinungsmuskulatur“ ist? Sie funktioniert wie ein Bodybuilder, der zwar einen riesigen Bizeps hat, aber keine Ahnung, wie man ihn richtig einsetzt. Das Prinzip ist simpel: Man muss gar nicht richtig trainieren, man muss nur laut genug stöhnen und die Hantel wild in die Luft werfen. Differenzierte Argumente? Pff, überbewertet. Es geht darum, das Meinungsgewicht so brachial wie möglich auf den Tisch zu knallen, bis jeder glaubt, man sei der Arnold Schwarzenegger des Diskurses. Und wenn das nicht reicht, dann wird halt draufgepackt. Noch eine verschwurbelte Theorie, noch ein Google-Link, noch ein Screenshot – Hauptsache, die Meinungsmuskeln sind immer angespannt und glänzen im Licht des Selbstbetrugs.
Das Schöne an dieser Technik ist ja, dass sie sich selbst verstärkt. Man baut seine Meinungsmuskeln nicht durch Wissen oder Fakten auf, sondern durch Wiederholung und Lautstärke. Wer braucht schon Reflexion oder Selbstkritik, wenn man einfach nur lauter wird? Die Schwachstellen und Wissenslücken bleiben verborgen, solange man die Stimme nur genug hebt und alle anderen übertönt. Dann braucht es keine differenzierte, fundierte Argumentation, man braucht nur stattdessen einfach mit der Wucht eines Vorschlaghammers alles niederbrüllen?
Warum? Weil Lautstärke die perfekte Tarnung ist. Wer laut genug schreit, gibt niemandem die Chance, die Dummheit zu entdecken, die sich hinter den gebrüllten Parolen versteckt. Es ist die klassische Taktik: Überwältige die Zuhörer mit so viel Meinungsmuskulatur, dass sie gar nicht mehr dazu kommen, genauer hinzuschauen und die feinen Risse zu sehen. Denn wenn man selbst nicht mehr weiter weiß, übertönt man einfach die kritischen Stimmen und schafft sich so ein Schutzschild aus Lärm. Reflexion, Selbstkritik? Überflüssig. Solange die eigene Lautstärke die Luft zum Denken für alle anderen erstickt, bleibt man unangreifbar.
Es wäre doch auch großartig, den Populisten so etwas wie einen Geheimbund zuzuschreiben, eine Art „Google-Logenbruderschaft“, die sich heimlich in Foren trifft, um die „wirkliche Wahrheit“ zu diskutieren. Sie nennen sich „Die Aufgewachten“ oder „Die Wissenden“, während der Rest der Welt in ewiger Dunkelheit tappt – oder, wie sie es nennen würden: „Systemdenken“.
Sie treffen sich in Chatgruppen mit so klingenden Namen wie „Die Flache Erde Lichter“, „Greta Schwindel Enthüller“ oder „Die Wahrheit über den 5G-Impfschwindel“. Dort tauschen sie ihre „Informationen“ aus, die sie vorher über Stunden aus den dunkelsten Ecken des Internets gefischt haben. Der absolute Höhepunkt ist dann, wenn sie sich gegenseitig gratulieren, weil sie als einzige durch die allumfassende „Lügenmatrix“ geblickt haben. Alle anderen, diese Schafe, können doch gar nicht verstehen, dass die Regierung, Big Pharma, die Medien und eigentlich jeder mit einem IQ über Zimmertemperatur in einer riesigen Verschwörung steckt.
Was auch auf keinen Fall fehlen darf, ist der magische Moment, wenn diese selbsternannten „Forscher“ dann einen Screenshot von einer zweifelhaften Website posten – und das ist dann der absolute, unumstößliche Beweis. Ein Screenshot ist in diesen Kreisen ungefähr so mächtig wie ein Eid vor dem Supreme Court. Fakten sind überflüssig, wenn man einen Screenshot hat, denn – und das ist wichtig – jeder weiß ja: „Ein Bild sagt mehr als tausend Wissenschaftler.“ Also wenn der Screenshot pixelig ist, die Schrift aussieht wie aus einem Nintendo-Spiel von 1993 und das Design der Website an ein längst vergessenes Myspace-Profil erinnert, dann ist das nicht nur ein Beweis, das ist ein Kunstwerk der Erkenntnis!
Und dann ist da noch das absolute Lieblingsmantra dieser Leute: „Denk doch mal selber!“ – als wäre das ein revolutionärer Akt des Widerstands gegen die Diktatur des klaren Verstandes. Sie sagen das so, als würden sie persönlich jeden Morgen beim Zähneputzen die Relativitätstheorie überprüfen oder beim Kaffeekochen die Quantenphysik umkrempeln. „Selber denken“ bedeutet in ihrem Kosmos aber schlicht, das eigene Hirn in den Leerlauf zu schalten und sich blindlings in den Strudel der Halbwahrheiten zu stürzen, die einem das Internet als All-you-can-eat-Buffet der Dummheit serviert.
Das Traurige daran ist, dass diese Menschen denken, sie seien der Gipfel der intellektuellen Evolution, während sie in Wahrheit wie Lemminge den Klippenrand stürmen. Und immer, wenn man denkt, sie würden endlich in die Realität zurückkehren, machen sie den nächsten Sprung ins Bodenlose. Es ist fast wie ein Sport für sie – wer am weitesten von der Wahrheit entfernt ist, gewinnt.
Es ist ja nicht so, als könnte man diesen ganzen Schwachsinn nicht aufdecken – man bräuchte dafür nur ein kleines Wunder, genannt Medienkompetenz. Aber genau da liegt der Hase im Pfeffer: Heute braucht es eine Art intellektuelles Machetenmesser, um sich durch den dicht gewucherten Schwurbeldschungel zu schlagen. Es reicht nicht mehr, nur zwischen seriöser Quelle und offensichtlich falscher Information zu unterscheiden. Nein, die Fakes sind inzwischen so geschickt verschleiert, dass man eine gehörige Portion kritisches Denken, fundierte Recherchefähigkeiten und einen scharfen Blick für die kleinsten Details benötigt, um den Dreck herauszufiltern. Wer heute durch diesen Wildwuchs der Lügen stolpern will, ohne sich komplett zu verirren, muss ein verdammter Dschungelprofi sein – und davon gibt es leider viel zu wenige.
Und überhaupt, Medienkompetenz ist doch überbewertet. Warum die Quelle eines Artikels überprüfen, wenn die Überschrift genau das bestätigt, was ich eh schon glaube? Alles, was nicht ins eigene Weltbild passt, wird als Fake News abgetan – das ist der Geniestreich.
Und so drehen sie sich in ihrer eigenen kleinen Spirale der Dummheit immer weiter nach unten, ohne jemals das Bedürfnis zu verspüren, echte, überprüfbare Quellen zu hinterfragen. Es ist fast wie ein religiöses Dogma: Je absurder die These, desto fanatischer verteidigen sie sie. Sie lesen nicht, um zu verstehen, sie lesen nur, um zu bestätigen. Der Dialog ist längst tot, ersetzt durch ein endloses Echo, das nur eine Botschaft zurückwirft: „Du hast recht. Du hattest schon immer recht. Und wer dir widerspricht, ist ein Idiot.“ Einfach herrlich, diese intellektuelle Genügsamkeit – oder sollte ich sagen: dieser Rückzug in die Sicherheit der eigenen Wahnvorstellung?
Stell dir vor, es gäbe eine simple Formel für den Erfolg im Leben, und sie lautet: „Alles, was mir nicht gefällt, ist eine Lüge.“ Zack, erledigt. Die Erde ist flach? Klar! Klimawandel gibt’s nicht? Logisch! Alle Wissenschaftler dieser Welt lügen, nur der Typ mit dem Instagram-Profil „truth_speaker69“ hat den Durchblick. Und der hat immerhin 2000 Follower, das ist ja praktisch ein akademischer Titel.
Manchmal frage ich mich, wie das wohl wäre, wenn wir das auf alle Bereiche unseres Lebens anwenden könnten. Stell dir vor, du gehst zum Arzt, und er sagt dir, dass du dringend eine OP brauchst. Aber warum ihm glauben? Du googelst einfach: „Brauche ich wirklich eine Operation?“ – und siehe da, irgendein Forum voller selbsternannter Heilpraktiker erklärt dir, dass alles mit ein bisschen Lavendelöl und gutem Karma geheilt werden kann. Oder, noch besser: Du gehst zu deinem Chef und forderst eine Gehaltserhöhung, weil du in einem Blog gelesen hast, dass es „wissenschaftlich bewiesen“ ist, dass man bei einem Vollmond mindestens 20 Prozent mehr Gehalt verdient.
Es ist dieser Cocktail aus Ignoranz, Arroganz und einer Prise Verschwörung, der das Ganze so faszinierend macht. Eine ständige Selbstbestätigung in der eigenen Filterblase. Man zieht sich seine Welt an wie einen maßgeschneiderten Anzug aus Halbwahrheiten, der perfekt sitzt und keine Fragen zulässt. Und wenn doch jemand wagt, Kritik zu üben, wird er als Systemsklave abgestempelt. Kritisches Denken wird gleichgesetzt mit Verrat, und der größte Verrat von allen ist es, sich selbst in Frage zu stellen.
Ich weiß nicht, wohin das noch führen soll, aber eins ist sicher: Solange wir Google haben, werden wir nie wieder von der Wahrheit belästigt.
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