In der neuen Episode von „Der Schalltrichter“ begibt sich Thomas Speck auf einen höllischen Ritt durch die Irrungen und Wirrungen der Bürokratie – oder besser gesagt, das „Fegefeuer der Formulare“. Stell dir vor: Du möchtest deine liebe Oma zur letzten Ruhe betten, doch bevor der Sarg überhaupt den Friedhof erreicht, wird dir erst mal klar, dass der wahre Endgegner nicht der Tod ist, sondern der Papierkram

Stell dir vor, du stehst da mit dem Sarg deiner Oma, Tränen in den Augen – aber nicht etwa wegen des Verlusts, sondern weil dir die Behörde gerade mitgeteilt hat, dass dir für die Beerdigung noch das Formular T-38/A für nicht mehr steuerpflichtige Verstorbene fehlt. Selbstverständlich musst du das in dreifacher Ausführung einreichen, zusammen mit einer beglaubigten Kopie ihrer Geburtsurkunde und dem Nachweis, dass sie nicht mehr vorhat, sich posthum in ein Steuerparadies abzusetzen.

Der Beamte am Schalter, mit einem Kaffeefleck auf dem Hemd und der emotionalen Reichweite einer Topfpflanze, erklärt dir mit todernster Miene: „Tut mir leid, aber ohne diese Genehmigung können Sie den Friedhof nicht betreten. Falls Ihre Oma es eilig hat, können Sie einen Expressantrag stellen – das kostet allerdings das Doppelte.“ Natürlich gibt es die Möglichkeit, gegen diese Entscheidung Widerspruch einzulegen, aber dafür bräuchte es erst mal einen Termin – in sechs bis acht Wochen.

Willkommen im bürokratischen Fegefeuer, wo selbst der Tod nicht ausreicht, um dich von den Ketten des Papierkrams zu befreien. Du dachtest, mit dem letzten Atemzug wäre der Kampf vorbei? Falsch gedacht, mein Freund. Der wahre Endgegner ist nicht die Sense, sondern der Stempel – das ultimative Symbol des unausweichlichen Systems.

Der Tod ist bei uns nicht das Ende – er ist nur der Anfang. Nicht nur für die Seele, die hat es auch nicht einfacher, aber für die Hinterbliebenen?
Die stehen nicht etwa vor einem gütigen Gott oder dem Tor zur Ewigkeit, sondern vor einer Mauer aus Formularen, die höher ist als der verdammte Sarg. Ein Sarg, den du übrigens nicht so einfach schließen kannst – nicht ohne das passende Formular, versteht sich.

Der erste Stopp auf dieser Reise: Der Totenschein. Klingt einfach, oder? Nur ein schnödes Stück Papier, das bestätigt, dass Oma Erna endgültig ihre letzte Tasse Kamillentee getrunken hat. Denkste! Der Totenschein ist der VIP-Pass in die ewige Ruhe – ohne den bekommst du Oma nicht mal vom Esstisch. Also rufst du den Arzt, doch natürlich ist der entweder auf Fortbildung oder in den ewigen Weiten eines nicht aufzufindenden Wochenenddienstes verschwunden. Und so darf Oma ein bisschen länger bei dir verweilen, während ihr Körper langsam das nächste Formular einreicht: den Antrag auf natürliche Zersetzung.

Sobald das magische Papier dann endlich in deinen Händen flattert, denkst du vielleicht, der Totengräber steht schon mit der Schaufel bereit? Schön wär’s. Vorher kommt nämlich noch der Bodenprüfer. Ja, du hast richtig gehört – die Erde, in die Oma verschwinden soll, muss erst mal auf „Beerdigungstauglichkeit“ untersucht werden. Du dachtest, das größte Problem ist, ob der Friedhof sonnig genug für die Geranien ist? Falsch gedacht. Es könnte ja sein, dass unter dem Friedhof „historische Belastungen“ schlummern, wie ein rostiger Nagel aus dem 17. Jahrhundert oder ein uraltes Hundefrühstück, das jetzt als biologisches Risiko eingestuft wird.

Der Friedhofswärter, mit einem ausdruckslosen Gesicht, erklärt dir, dass der Boden erst gesäubert und zertifiziert werden muss, bevor Oma auch nur den kleinen Finger ins Erdreich stecken darf. Dafür musst du natürlich ein extra Gutachten beauftragen, bei einem Spezialisten, der normalerweise Häuser auf Asbest untersucht. Schließlich will man ja nicht, dass Oma nach ihrem Tod noch mit giftigen Rückständen in Kontakt kommt – immerhin hat sie schon zu Lebzeiten ihren Beitrag geleistet, indem sie auf Plastiktüten verzichtet hat.

Jaja, es geht noch weiter! Jetzt musst du zum Standesamt, um die Sterbeurkunde zu beantragen. Glaubst Du wirklich, du kannst einfach den Totenschein mitnehmen und das war’s? Nöö. Da brauchen sie erstmal Omas Geburtsurkunde, die Heiratsurkunde, am besten noch den Taufschein – nur für den Fall, dass sie sich in letzter Sekunde umentschieden hat und doch noch lieber für die protestantische Kirche arbeiten möchte. Ohne diese Dokumente? Keine Sterbeurkunde. Und ohne Sterbeurkunde? Kein Grabstein. Das bedeutet, Oma liegt anonym unter der Erde, wie ein illegaler eindringling oder ein falsch geparktes Auto, bis du alle nötigen Papiere zusammengesammelt hast.
Und wo ist bloß das verdammte T-38/A hin?

Wenn du erleichtert bist, weil der Wahnsinn hier endet, liegst du schon wieder daneben. Jetzt musst du noch zum Friedhofskomitee, das über die finale Position des Grabes entscheidet. Weil, klar, nicht jeder darf einfach irgendwo beerdigt werden. Man weiß ja nie, ob Oma Erna sich nach 30 Jahren dazu entschließt, posthum einen besseren Platz zu wollen – vielleicht mit mehr Aussicht. Und dafür muss ein Antrag auf „dauerhafte Grabplatzvergabe“ gestellt werden, am besten mit einer kleinen Begründung, warum genau Oma dieses spezielle Stück Erde verdient. War sie zu Lebzeiten mal Mitglied im örtlichen Gartenverein? Das könnte ihre Chancen nämlich erhöhen.

Und jetzt, nach Tagen der Demütigung und Formulare in dreifacher Ausführung, bist du bereit, sie zur letzten Ruhe zu betten.

Doch bevor du den Spaten in die Erde rammst, um die gute Erna endlich unter die Erde zu bringen, steht er wieder da: Der Friedhofswärter. In der einen Hand eine Zigarette, in der anderen ein Formularblock. „Haben Sie denn auch die Belastungsanalyse für die Oma durchgeführt? Ohne das geht hier nichts. Wir wollen ja nicht, dass die Oma die Umwelt belastet, oder?“ Gott bewahre, dass deine 90-jährige Großmutter im Tod noch mehr CO2 produziert, als sie zu Lebzeiten je verursacht hat.

Natürlich könntest du Einspruch erheben, aber dafür bräuchtest du ein notarisiertes Testament – vorzugsweise mit einem handschriftlichen Anhang, der bestätigt, dass sie im Jenseits keine Lust hat, gegen irdische bürokratische Entscheidungen zu klagen. Sicher ist sicher. Man weiß ja nie, wann ein müder Geist plötzlich das Bedürfnis verspürt, aus seiner letzten Ruhestätte aufzuerstehen, um die Friedhofsverwaltung wegen Grabstättenschändung zu verklagen.

Und das ist noch nicht alles. Friedhofsabgabe, ja, du hast richtig gehört. Denn selbst im Tod kostet das Land, in dem Oma verschwindet, Miete. Sicher, sie hat vielleicht seit 40 Jahren Steuern gezahlt, aber was ist schon die Rente gegen die unersättliche Friedhofsverwaltung? Das Grab muss finanziert werden, man weiß ja nicht, was Omas Geist da oben noch anrichten könnte. Gott bewahre, sie verursacht eine kosmische Umweltverschmutzung, indem sie an Halloween auf dem falschen Grabplatz herumspukt. Es wäre ja peinlich, wenn das Jenseits plötzlich zur Schrottdeponie für unerwünschte Seelenwanderungen mutiert.

Endlich, nach Wochen der Aufregung, nach zig Runden auf dem Karussell der Zuständigkeiten und dem unerträglichen Wiehern des räudigen Amtsschimmels, liegt Oma Erna unter der Erde. Du denkst, es ist vorbei. Du kannst dich endlich der Trauer widmen oder – realistischer – den Erbkrieg mit deiner Verwandtschaft beginnen. Aber: Verfalle bloß nicht dem naiven Glauben, dass es mit dem Tod nun wirklich vorbei ist. Nun doch, für Dich, außer das die Aasgeier der Verwandten schon lauern, für Dich ist es vorerst vorbei.
Doch, wie ich vorhin sagte, auch verstorbene Seelen haben es nicht leichter.

So stelle ich mir das vor: Im Jenseits regiert der göttlich-rechtliche Dienst.
Für den Eintritt ins Himmelreich – sofern du darauf spekulierst – braucht es nicht bloß ein gottgefälliges Leben, sondern auch den richtigen Papierkram. Oma Erna hat das Pech, auf den himmlischen Amtsschimmel zu treffen, der in seiner Langsamkeit sogar den irdischen Kollegen Konkurrenz macht. Da steht sie nun vor den himmlischen Toren, mit einem vorwurfsvollen Blick auf Petrus, der gelangweilt mit seinem himmlischen Klemmbrett wedelt. „Ah ja, Frau Erna, ich sehe hier, dass Sie noch einige Unstimmigkeiten in Ihren irdischen Unterlagen haben. Leider kann ich Sie so nicht ins Paradies einlassen.“

Natürlich wird Oma nicht direkt ins Paradies durchgewunken, das wäre viel zu einfach.
Stattdessen verweist Petrus sie erst mal an den „Bearbeiter für Seelensachverhalte im Wartebereich A“. Was nun folgt, ist ein Jenseits-Marathon. Sie wird von Station zu Station geschickt – von Hermes, dem Boten, der ihr mit einem augenrollenden „Nicht mein Bereich“ die Tür zur nächsten Schalterhalle öffnet, weiter zu Charon, der vor dem Übersetzen über den Styx nochmal schnell ein paar Drachmen einfordert. „Tut mir leid, aber ohne die richtige Münze geht hier nichts.“ Also, zurück ans Tor, wo Petrus Oma einen Antrag auf nachträgliche Münzbereitstellung gibt. „Dauert nur ein paar Jahrzehnte, aber Zeit ist hier im Jenseits ohnehin relativ.“

Irgendwann, nach einem halben Jahrtausend Herumirren in den göttlichen Behördengängen, steht Oma endlich vor dem ultimativen Sachbearbeiter: Gott höchstpersönlich.
Doch, Überraschung!
Gott hat gar keine Zeit für so banale Anfragen.
„Das ist nicht mein Zuständigkeitsbereich“, erklärt er seelenruhig, während er über eine himmlische Checkliste blättert, die in Schriftgröße 8.000 auf einem einzigen Pergament ausgerollt ist. „Du musst erst zum himmlischen Arbeitsamt, um den Antrag auf ewiges Leben zu bewilligen. Dort wird dann entschieden, ob das Paradies für dich in Frage kommt.“
Oma Erna guckt verwirrt, doch Gott hebt nur die Hände. „Leider haben wir gerade einen kleinen Rückstau – die Menschheit stirbt seit Jahrhunderten schneller, als wir es hier abarbeiten können.“

Und dann kommt der Haken. Der himmlische Bearbeiter des göttlichen Arbeitsamtes hebt die Augenbraue, tippt auf seine göttliche Tastatur und murmelt:
„Moment mal, Oma Erna… Ich sehe hier in deinen Akten, dass du bei der Beerdigung vergessen hast, den Antrag auf „Paradiespräferenz“ auszufüllen.“

Ein kleiner, unscheinbarer Haken, den niemand erwähnt hat – nicht einmal Petrus. Und so wird Oma Erna, ohne es recht zu fassen, mit einem überheblichen „Nun, Nicht mein Problem“ an den Höllen-Schalter weitergereicht.

Dort erwartet sie natürlich nicht etwa der Beelzebub in all seiner grimmigen Pracht, sondern ein höchst gelangweilter Sachbearbeiter, der nach Schwefel riecht und sie müde anschaut, während er in der Akte blättert: „Aha, Erna… Paradiesantrag abgelehnt, Zuständigkeit Hölle.“ Mit einem gelangweilten Fingerzeig schickt er sie weiter in den Tartarus. „Aber vorher müssen Sie natürlich noch den Antrag auf ‚Verdammung‘ unterschreiben. Standardverfahren. Da unten herrscht schließlich Ordnung.“

Und nun steht Oma Erna unten in den Flammen des Tartarus, und hofft, dass sie wenigstens da endlich den Stempel auf ihren Antrag bekommt, um offiziell in die ewige Verdammnis aufgenommen zu werden.
„Keine Sorge,“ murmelt der finstere Schalterbeamte, „hier unten geht es viel schneller. Wir haben ja schließlich nicht ewig Zeit“ und schickt ihr zur Sicherheit noch einen Hinweis hinterher „Vergessen Sie nicht, den Antrag auf ‚Ascheverteilung mit minimalem Feinstaubausstoß‘ einzureichen. Wir wollen ja nicht, dass Sie hier unten nach Ihrer Verbrennung noch die Umwelt verpesten.“

Und so wartet die gute Erna – aber wenigstens hat Oma endlich warme Füße und mit dem Formular „T-38/A“ im Sarg auch noch eine Lektüre mit über den Styx gebracht.