Illusion Arbeit – Das Märchen von der Leistung

Die Wirtschaft am Abgrund! Nein, nicht etwa wegen Spekulationsblasen, Korruption oder absurd hoher Managerboni – sondern weil die bösen, faulen Arbeitnehmer plötzlich keine Lust mehr haben, sich bis zur völligen Erschöpfung für einen Hungerlohn zu verschleißen. Statt 60-Stunden-Wochen verlangen sie doch allen Ernstes Zeit zum Leben!
Es ist eine Katastrophe. Eine Tragödie. Eine wirtschaftliche Apokalypse biblischen Ausmaßes: Die Arbeitnehmer haben keine Lust mehr zu malochen. Sie arbeiten zu wenig, sie sind zu oft krank, und – das ist wirklich der Gipfel der Dreistigkeit – sie wollen auch noch Teilzeit! Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass sie nicht freiwillig 60-Stunden-Wochen für ein Butterbrot abreißen, haben sie jetzt auch noch den Nerv, gelegentlich krank zu werden.
„Wo ist Deine Arbeitsmoral?“
„Sorry, bin gerade im Krankenstand. Red ma drüber, wenn ich wieder gesund bin?“
Und wer ist schuld daran? Natürlich nicht etwa das Arbeitsklima, das inzwischen aussieht wie eine Mischung aus Hamsterrad, Legebatterie und sozialem Experiment à la „Wie lange überlebt ein Mensch ohne Hoffnung?“
Es sind nicht die verpflichteten Überstunden, die sich unbezahlt aufstapeln wie Rechnungen im Briefkasten. Und sicher nicht die Arbeitsbedingungen, die in vielen Branchen so einladend sind wie eine Betonplatte auf einer Liegewiese. Nein, nein. Schuld sind allein die Arbeitnehmer, diese faulen, moralisch verkommenen Gestalten, die es wagen, nicht mehr jeden Tropfen ihrer Lebensenergie auf dem Altar der Profitmaximierung zu opfern.
Die neue witschaftliche Pest ist der Krankenstand!
Die Arbeitgeber sind empört: „Plötzlich sind alle krank!“ – Ja, unfassbar. Vielleicht, nur vielleicht, hat es damit zu tun, dass jahrelange Personaleinsparungen und chronischer Stress Menschen tatsächlich krank machen? Oder dass ständiger Druck und Angst vor Jobverlust das Immunsystem nicht unbedingt stärken? Nein, das kann nicht sein. Es ist viel wahrscheinlicher, dass Arbeitnehmer neuerdings eine geheime Gewerkschafts-Verschwörung geschmiedet haben, um kollektiv den Montagmorgen im Bett zu verbringen.
Aber keine Sorge, die Arbeitgeber haben vorgesorgt! Der neueste Vorschlag von Hermann Talowski von der Wirtschaftskammer Österreich: „Der erste Krankenstandstag soll unbezahlter Karenztag sein.“ Klingt erst mal harmlos, oder? Schließlich muss ja jemand die faulen Lungenentzündungs-Simulanten und Burnout-Betrüger in die Schranken weisen.
Doch halt – warum nur den ersten Tag? Warum nicht gleich eine progressive Krankenstandsstrafe? Beim ersten Mal noch ein Tag unbezahlt, beim zweiten Mal eine Woche – und ab dem dritten Mal könnte man gleich das Gehalt für einen Monat einziehen. Dann überlegen sich die Leute vielleicht zweimal, ob sie wirklich so unverschämt sein wollen, sich eine echte Grippe einzufangen.
Noch besser wäre: Wer innerhalb eines Jahres keinen einzigen Krankenstand meldet, kommt in den „Gesundheits-Olymp“! Als Belohnung winkt ein von der Chefetage gesponserter Wellness-Tag – allerdings in der firmeneigenen Kantine, mit einem Apfel aus der Obstschale vom letzten Jahr. Und für die ganz Hartgesottenen gibt es den „Eiserne Arbeitsbiene“-Orden, der in einer feierlichen Zeremonie von einem Manager verliehen wird, der sich seit Jahren jede Erkältung in der Privatklinik kuriert.
Wie wäre es mit einem digitalen Fieberthermometer für den Arbeitgeber? In jedem Arbeitsvertrag steht, dass sich Mitarbeiter verpflichten, ihre Körpertemperatur inklusive Positionstracking über eine App zu melden. Wer unter 37,5 Grad Körpertemperatur hat, bekommt automatisch eine Verwarnung – wenn er oder sie nicht binnen 1 Stunde wieder zur Arbeit erscheint.
Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt! Am Ende könnte das Arbeitsministerium einfach eine neue Regel einführen: „Krank sein ist Privatsache.“ Wer sich unverschämterweise eine Seuche einfängt, muss das halt in seiner Freizeit auskurieren. Vielleicht in den zwei Tagen Resturlaub, die nach den 60-Stunden-Wochen noch übrig sind.
Das führt uns zur verhassten Teilzeit – oder: Der Revolution der Faulenzer!
Fast noch schlimmer als die „krankheitsbedingte Arbeitsverweigerung“ ist die beunruhigende Tatsache, dass immer mehr Menschen nur noch Teilzeit arbeiten wollen. Skandal! Wer soll denn dann bitte den Arbeitskräftemangel ausgleichen? Dass es vielleicht an der Work-Life-Balance liegt, die in vielen Jobs mehr „Work“ als „Life“ beinhaltet, kommt natürlich niemandem in den Sinn. Oder dass die Kombination aus mieser Bezahlung, flexiblen Verträgen (flexibel nur für den Arbeitgeber, versteht sich) und grenzenloser Erreichbarkeit die Menschen dazu zwingt, ihre Arbeitszeit bewusst zu reduzieren, um nicht mit 40 als nervliches Wrack zu enden.
Die unsägliche Johanna Mikl-Leitner, ihres Zeichens ÖVP Landeshauptfrau von blauen Gnaden in Niederösterreich verstieg sich darin, zu sagen: „Wer Teilzeit arbeite, ohne Betreuungspflichten zu haben, ist asozial“
Oh, da hat Frau Mikl-Leitner aber tief in die sozialdarwinistische Mottenkiste gegriffen. Dann ballern wir mal zurück – mit der Eleganz eines Presslufthammers auf Marmorboden:
„Asozial“ also? Wer bitte bestimmt eigentlich, was asozial ist? Jemand, der sein Leben nicht ausschließlich der Kapitalvermehrung widmet – oder jemand, der Menschen vorschreiben will, wie viel sie zu arbeiten haben?
Interessant, wie schnell der moralische Zeigefinger gezückt wird, sobald Arbeitnehmer nicht mehr bereit sind, sich bis zur völligen Erschöpfung auszubeuten. Die Dreistigkeit! Diese Unverschämtheit! Leute entscheiden selbst über ihre Zeit – eine Frechheit sondergleichen! Dabei weiß doch jeder: Das höchste Lebensziel eines anständigen Menschen ist es, sich für einen Manager mit Bonussystem kaputtzuschuften.
Aber Moment mal – ist Teilzeitarbeit nicht auch etwas, das Politiker mit ihren satten Sitzungsgeldern ganz hervorragend beherrschen? Mikl-Leitner und ihre Kolleginnen und Kollegen im gehobenen Regierungsmanagement haben mit ihren bestens dotierten „Teilzeitjobs“ in Aufsichtsräten sicher nicht das Gefühl, asozial zu sein. Nein, das ist dann einfach „effiziente Ressourcennutzung“.
Und was ist mit CEOs, die sich mit vier Stunden Präsenz und 14 Stunden Golfplatzmanagement eine goldene Nase verdienen? Ist das auch asozial – oder ist es einfach nur das bewundernswerte „Erfolgsmodell der Leistungsgesellschaft“?
Aber wehe, eine Kassiererin, eine Erzieherin oder ein Krankenpfleger wagt es, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, um vielleicht einmal nicht nur für das bloße Überleben zu schuften. Dann ist plötzlich der Untergang der Wirtschaft nah. „Asozial“ ist offensichtlich nicht das System, das Arbeitnehmer in Armutslöhne und Burnouts presst – nein, asozial ist allein derjenige, der es wagt, eine Alternative zu suchen.
Vielleicht sollten wir einfach ein neues Zertifizierungssystem einführen: Den „Sozial-TÜV für Arbeitnehmer“! Wer mehr als 40 Stunden pro Woche arbeitet, darf sich als wertvoller Bürger fühlen. Bei weniger gibt’s erst eine Verwarnung, dann Lohnabzüge – und wer gar unter 30 Stunden fällt, wird automatisch als ‚Volksschädling‘ an den Wirtschafts-Pranger auf LinkedIn gestellt.
Und alle, die Teilzeit arbeiten und trotzdem Steuern zahlen, Krankenkassenbeiträge leisten und den Wirtschaftskreislauf am Laufen halten? Tja, Pech gehabt. Ihr habt die Frechheit besessen, über eure eigene Zeit zu bestimmen – und das geht nun wirklich nicht.
Wer wirklich asozial ist, Frau Mikl-Leitner, das ist nicht schwer zu erkennen. Kleiner Tipp: Es sind nicht die Arbeitnehmer!
Aber natürlich ist wieder der Arbeitnehmer das Problem. Warum haben die auch plötzlich Ansprüche? Früher war alles besser! Da hat man sich mit Stolz in den Knochen malocht, bis einem der Rücken zusammenbrach – und als Belohnung gab es einen warmen Händedruck und ein „Tja, das ist halt so“ von der Chefetage.
Arbeitsmoral ist der neueste Exportartikel der Unternehmenslobby
Und so schallt es aus den Vorstandsetagen: „Die Leute haben einfach keine Arbeitsmoral mehr! Früher hätte man sich noch ins Büro geschleppt, selbst mit Fieber, Bronchitis und gebrochenem Bein! Heute bleiben sie daheim, wenn sie sich nicht mal mehr selbst zur Kaffeemaschine schleppen können – was ist nur aus der guten alten Opferbereitschaft geworden?“
Man könnte jetzt einwerfen, dass es vielleicht nicht Arbeitsmoral ist, die den Bach runtergeht, sondern eher die Bereitschaft, sich für einen Hungerlohn aufzuopfern. Aber das wäre ja viel zu einfach. Stattdessen braucht es härtere Maßnahmen: Vielleicht ein staatlich überwachtes „Moralometer“, das die Produktivität jedes Einzelnen in Echtzeit überwacht? Wer nicht mindestens 120% Leistung bringt, wird automatisch zur Zwangsweiterbildung in den „Seminarraum für unternehmerische Dankbarkeit“ geschickt.
Das Fazit ist also: arbeiten, bis der Arzt kommt (oder besser nicht, sonst bist du ja krankgekündigt)
Die Debatte ist ein Paradebeispiel für eine Wirtschaft, die sich selbst in den Fuß schießt, aber denjenigen die Schuld gibt, die versuchen, auf einem Bein weiterzuhumpeln. Es ist nicht die fehlende Arbeitsmoral, die Menschen in den Krankenstand oder in die Teilzeit treibt. Es sind die Arbeitsbedingungen, die vielerorts so attraktiv sind wie ein Gratisaufenthalt in einem Hochsicherheitsgefängnis.
Seit Jahrzehnten wird uns eingetrichtert: Wer hart genug arbeitet, kann alles erreichen. Einmal richtig ranklotzen – und zack, gehört dir das goldene Schaukelpferd.
Dass, wer nur hart genug arbeitet, sich aus dem Nichts nach oben kämpfen kann – ganz so, als wäre unser Wirtschaftsmodell ein glitzerndes Karussell, auf dem sich jeder seinen Platz verdienen kann.
Doch in der Realität hocken die meisten von uns auf rostigen Sitzen, treten sich wund an den Pedalen die dieses Karussell erst drehen, während die goldenen Pferde bereits fest in den Händen jener sind, die sie gar nie loslassen mussten.
Man fragt sich, woher eigentlich diese „Arbeitsmoral“ kommen soll, von der uns die oberen Etagen ständig predigen? Woher der unbändige Wille zur Leistung, wenn man mitansehen muss, dass nur eine Seite immer wieder zur Kasse gebeten wird? Wenn steigende Preise, explodierende Mieten und Kürzungen im Sozialsystem immer nur auf den untersten Stufen der gesellschaftlichen Leiter lasten, während sich weiter oben niemand mit solchen Banalitäten herumschlagen muss?
Wie soll jemand noch an das Märchen vom „Aufstieg durch harte Arbeit“ glauben, wenn er gleichzeitig beobachten kann, dass ein René Benko, der mit Milliarden gegen die Wand fährt, sein Vermögen trotzdem in privaten Stiftungen sichert, während seine Angestellten zusehen können, wo sie bleiben? Oder wenn ein Stefan Pierer, der einen Weltklassebetrieb wie KTM in die Krise reitet, nicht nur unbeschadet aus der Sache herauskommt, sondern seinen Aktionären auch noch Millionen an Gewinnen auszahlen kann?
Wer soll es noch ernst nehmen, wenn jene, die die größten Fehler machen, sich nach unten abfedern lassen, während die Arbeitnehmer für jeden Hustenanfall bestraft werden? Wenn Manager mit goldenen Fallschirmen aus Pleiten segeln, während man dem normalen Angestellten am Monatsende den letzten Cent für die steigenden Lebenskosten abpresst?
Und während ganz oben weiterhin die Gewinne sprudeln, wird unten zum Sparen aufgerufen. „Gürtel enger schnallen!“, „Mehr arbeiten!“, „Weniger krank sein!“, „Teilzeit? Nein, danke!“ Man ruft nach Leistung, nach Moral, nach Hingabe – aber immer nur von denen, die ohnehin kaum noch Luft bekommen.
Und so dreht sich das Karussell weiter. Die goldenen Schaukelpferde bleiben besetzt von jenen, die nie selbst treten mussten, während unten im Keller die alten rostigen Bänke knarzen unter der Last unseres Kurbelns. Die Manager-Lounge feiert mit Champagner die nächste Dividende, während unten die letzte Gehaltserhöhung von der Inflation aufgefressen wird.
Aber keine Sorge – solange es noch gratis Obst in der Kantine gibt, bleibt die Moral hoch. Und wenn’s mal hart auf hart kommt, gibt’s halt ‘nen Apfel auf Rezept. Ist doch alles in Ordnung.
Oder?